Freitagsgedichte 61 & 62

Klagelied des Mondes für seine Erde

Jeder Morgen immer wieder
bringt voll Angst den Spiegelblick.
Und dann senkst du deine Lider,
lauschst den Schmerzen im Genick.

Liebe Erde, lass dir sagen,
ich kann deine Schändung spürn,
Soll ich diese Menschen fragen,
die dich in den Abgrund führn.


Der letzte Mensch
(nach Mathias Claudius)

Der Mond ist aufgegangen
Wie oft hab ich gehangen
im Traum am Eichenstumpf.
Der Wald steht schwarz und schweiget
und aus den Städten steiget
kein Lebenslaut, nicht hell, nicht dumpf.

Wie ist die Welt so stille,
da keines Menschen Wille
der Erde Ruhe stört!
Vergessen jeder Jammer
Es schlägt der Zeiten Hammer
Ruinen eben, ungehört.

Wir konnten nur mit Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen

Durch selbst gemachten Tod!
Wär einer doch gekommen,
hätt uns die Gier genommen,
wir teilten ehrlich Lieb und Brot!
So grab ich euch, ihr Brüder,
Ins Erdreich ein und wieder
ist kalt der Abendhauch.
Zu spät ist es für Strafen,
Ich werde ewig schlafen!
Und meine kranke Erde auch!  

vernissage & glatt erzogen - Gebilligtes im Schnellwaschgang ... (Freitagsgedichte 59 & 60)

Ein Friedrichshainer Autorenkreis ohne richtigen Leiter akzeptierte folgende Gedichte:

glatt erzogen

wenn du schreist
dann schreie leise
leise schreien
das ist weise

wenn du rennst
dann langsam bitte
langsam möglichst
in der mitte

wenn du abhebst
nah am boden
dann verkneif dir
schrille moden

ecke niemals
böse an
sei nicht frau und
sei nicht mann

führe aus
was man dir sagt
sprich nicht wider
ungefragt

leb ein wenig
blässlich rot
dann merkts niemand
bist du tot

vernissage

und da standen sie zusammen
jeder sagte
ICH
mach kunst
und sie haben sich beschrieben
jeder jedem seine welt
darin fehlte
ihnen fehlte
sprecht´s nicht aus das wörtchen
geld

und da standen sie beisammen
und ein jeder stand für sich
und wenn einmal sich ein blick traf
gab es lächeln
bitterlich

Und sie gingen auseinander
jeder seinen eignen weg
und sie glaubten sich verschworen
über alle ihre ohren
hoch verschuldet
kaum geduldet
auf dem schmalen
voller qualen
lebenslangen pilgerweg

also floh ich raus ins leben
konnt´ ja sein

das würd´ es auch noch geben

Auswertung des ersten Kommunismus-Vortrags anhand "Gemeinschaft der Glückssüchtigen" vor den "Müttern gegen den Krieg Berlin-Brandenburg" (Die "Generalprobe")

Gesamtnote des Auftretenden: 3 
Auf der Grundlage des Dargebotenen würde ich einem Freund noch nicht raten, das müsse er unbedingt erlebt haben. Besonders der Erlebniswert, das Vergnügen am eigentlich angestrebten Erkenntnisgewinn der Zuhörer kam praktisch zu kurz. Einzig der Einsatz der ausgewählten Gedichte erwies sich als im Wesentlichen optimal – der Vortrag als gelungen.
Kleine Entschuldigung: Die Raumbeheizung wirkte ermüdend. Dem Vortragenden gelang es jedoch nicht, diesen Effekt unbemerkt zu machen. Erschwerend kam dazu, dass der Vortrag unmittelbar zu Beginn in Anbetracht der Zuhörerstruktur etwas umgebaut werden musste. Von den ca. 25 anfänglichen Zuhörern räumten zwei ein, von Youtube gehört zu haben, im Wesentlichen musste ich also allgemein alle Grundlagen des Marxismus bei der Zuhörerschaft als bekannt voraussetzen, alle Fragen des konkreten technischen Fortschritts als unbekannt und unverständlich. Eine ZU ideale Voraussetzung für die Aufbereitung des Themas: Ich konzentrierte mich u.U. Eben zu sehr auf jenen technischen Aspekt, warum was heute anders geht als bekannt. Der GESAMTBEGRIFF Kommunismus kam dabei zu kurz, ebenso die Einheit dessen, dass diese Gesellschaft logisch hergeleitet werden kann UND etwas ist, für das man sich begeistern kann. Ja, Begeisterung fehlte. Dabei war der Vortrag ausreichend für neue, weitere Erkenntnisse und an keiner Stelle „missglückt“ … aber eben im Wesentlichen mittelmäßig.
Sofern dies als Generalprobe gelten darf, wären die Hoffnungen groß auf die Premiere in Potsdam. Ein paar Tage sind ja noch, um umzubauen und Stimmspiele zu üben, dass sie automatisch kommen, wenn sie gebraucht werden. Nur nicht von den Teilnehmern verunsichern lassen.


Zur Krönung der inneren Wut: Heute Vormittag stand eine Lohnsteuerberatung auf dem Programm. Ich weiß das Stichwort nicht mehr; ich glaube, es war nur ein Blick auf den Bücherstapel, aber plötzlich sprudelte der Vortrag aus mir heraus, wie ich ihn gestern hätte gehalten haben sollen. Temperamentvoll, logisch, emotional … es war alles da. Das Können ist gespeichert. Nun muss es nur noch im richtigen Moment rauskommen, wenn eine Zuhörerschaft begeistert werden will ...

Großer Kommunismus-Auftritt und vorgezogene Freitagsgedichte

Heute ist Show-Premiere: der erste halböffentliche Vortrag zu Fragen moderner Kommunismus-Auffassungen im "Roten Laden" an der Weberwiese in Berlin, Weidenweg 17. 17.00 Uhr geht es auch los.
Öffentlich ist das Ganze, insoweit teilnehmen kann, wen das Thema interessiert, HALB öffentlich deshalb, weil der Kern der Besucher wohl die "Mütter gegen den Krieg Berlin-Brandenburg" sein werden, in deren monatliche Reihe sich das einordnet ... oder auch nicht: Normalerweise finden "geographische Reisen" statt mit Gästen, die Entwicklungen in bestimmte Regionen der Welt näher beleuchten; diesmal geht es um eine Welt, wie sie sein könnte, aber noch nirgends ist - außer in meinem Buch "Gemeinschaft der Glückssüchtigen" ....
Wie lange die Veranstaltung dauern wird, hängt natürlich auch von den Fragen und Anmerkungen der Besucher ab. Vorsorglich habe ich also zwei Gedichte parat, mit denen ich nachher zum "Friedrichshainer Autorenkreis" gehen würde, wenn sich das noch lohnt:

Sonett des neidischen Klassikers, der für einen Kollegen den Ghostwriter spielte


Dichte nur, dichte, es ist einerlei
zwei Reime am Tag hast du bei mir frei.
Du hast eine Seele? Welch köstlicher Witz.
Die ist doch schon längst in meinem Besitz.

Nenne mich Teufel, nenn mich Triumpf:
du sprichst zwar geschliffen, doch für mich bist du stumpf.
Du hast auf den Beifall, den man dir schenkt,
allein dein Begehren und Streben gelenkt.

Welch göttliche Ordnung erhält dir die Welt,
fällt vom Herrschertisch dir etwas Geld.
Du hebst es schnell auf, küsst den Boden zum Dank
im Innern ergeben ein Leben lang.

Damit, dich zu holen, habe ich keine Not.
Es scheint, dass du lebst, doch bist du längst tot.


Inselherbst


Wolken
fallen ins Meer,
Sturmböen
peitschen den Strandwanderer aus.
Er hört nicht
die Windflüchter flüstern:
Wir haben ihn gewarnt.
Sommersonne floh
auf Maledivensand.
Beim Grog
secht Fiete
Nu is Ruh.
So wenige Worte
reichen für
drei Wochen
Erholung.

Freitagsgedichte (56)

Ich behielt Recht: Es wäre besser gewesen, den "Ratgeber" gleich ohne die ursprüngliche Strophe 2 zu lesen. Sie verführte nur zu abwegigen Fragen. Hier die bereinigten Fassungen - beide zweistrophig ...

Ratgeber für angehende Lyrikpreisträger


Willst du ganz unverstanden bleiben,
musst du moderne Lyrik schreiben.
Dem Dichter ist das Wort gegeben,
um sich vom Denken abzuheben.
Was jeder gut verstehen kann,
ist sicher irgendwie profan.
Zu dem, woran sich alle laben,
kann jeder auch ne Meinung haben.

Und wirst du dann vor Scham mal rot,
mach weiter so, bald bist du tot.
Merkt erst die Nachwelt, du schlugst Schaum,
dann stört´s als Engel dich wohl kaum.
Dann dichtest du den dümmsten Schrott,
und wer versteht´s nicht? Richtig: Gott.  

Himmlisches


Sehr schwülstig reimt er „Augenstern,
ich habe dich von Herzen gern.“
Dabei … die beiden wissen schon,
ein Stern treibt meistens Kernfusion.
Er steht zum Glück in weiter Ferne.
Hautnah hätt´ ihn wohl keiner gerne.

Sind zwei romantisch und besessen,
sind Astro und Physik vergessen.
Da zählt nur eins in großer Eil,
sie will ihn nackt, er ist so geil.
Sie bleiben nächtens lange munter,

und holn sich manchen Stern herunter.  

Unter alten Herren


Vielleicht war ich am Samstag noch von „meiner“ Donnerstagsemanze für das Thema sensibilisiert. Auf jeden Fall mochte ich über den Scherz, wenn es denn überhaupt einer gewesen sein sollte, nicht lachen: Nachdem ein 30-köpfiger Vorstand mit drei beigemischten Frauen (eine davon mit prominenter Beziehung zur Vereinslegende) gewählt war, ging es um die Wahl der einzeln zu Wählenden. Die Vertreter nach §26 BGB waren schon gewählt, eine der drei Frauen war dazugewählt, da wurde ein Mann zur Wahl vorgeschlagen mit der Begründung, es bedarf eines Ausgleichs (wörtlich weiß ich es nicht mehr) der Geschlechter. Ich konnte da, obwohl ich den Herrn überhaupt nicht kannte, nicht zustimmen – zum Preis, die einzige Nicht-Ja-Stimme gewesen zu sein.
Der Rechenschaftsbericht des Genossen Professor Rolf Berthold war in Inhalt in Form beeindruckend positiv. Und doch blieb aus seinen vielen Vortragsseiten ein Satz übrig, der unglücklicherweise auch später nicht aufgenommen wurde: (wieder sinngemäß): Die Geschichte lasse sich nicht vorwärts drängen.
In der Unbedingtheit der Behauptung eine Katastrophe. Wie viele Erläuterung trägt Marx zusammen, um zu einer vergleichbar skurrilen Formulierung zu kommen, nämlich dass sich die Geschichte nur Aufgaben stelle, die sie auch lösen könne. Als Absage an voluntaristisches Vorpreschen gedacht, ist sie in ihrer Substanz extrem gefährlich: Wer bestimmt denn wann, wann die Geschichte soweit ist? Marx selbst nutzte eine verständliche Logik: Im Nachhinein haben wir gesehen, dass bestimmte Revolutionen erfolgreich waren. Der Entwicklungsstand der Produktivkräfte war ihren Zielen gemäß. Also wars wohl Zeit. Wer aber nennt uns mittendrin den Augenblick? Ein Klub weiser alter Professoren? Man darf mir doch nicht die Sorge verbieten, einmal alt geworden zu sein (wenn auch weniger weise und bestimmt nicht Professor) und mir dann sagen lassen zu müssen, dass wir wohl UNSEREN Moment verpasst haben …

Ich hatte mir für den Tag etwas vorgenommen: Da ich zwar eine „alte“ Zusage von Dr. Klaus Steiniger als „Rotfuchs“-Chefredakteur per Mail hatte, eine längeren Text zur „Gemeinschaft der Glückssüchtigen“ als Leserbrief veröffentlicht zu bekommen, immerhin als Diskussionsanregung m.E. wertvoll, nicht bei der DDR stehen zu bleiben, sondern nach unseren Zielvorstellungen neu zu fragen, und es war nichts geschehen, sah ich im Verteilen eines Flyers die einzige Möglichkeit, noch Aufmerksamkeit zu erreichen. Ich eilte also, die Flyer auf die Sitze zu legen. Fast fertig wurde ich dann „aufgegriffen“. Ob das denn abgestimmt, also erlaubt sei. War es nicht und fast hätte ich schuldbewusst den Kopf gesenkt. Allerdings sei ein Beschluss gefasst worden, es generell nicht zu erlauben. Eine Frage wäre alöso gegenstandslos gewesen. Im verstopften kleinen Vorraum sei es erlaubt, mein Ziel aber unerreichbar. Nachdem ich entfernt war, wurden die Flyer entfernt. Ein verschwindend kleiner Teil erreichte allerdings einen Empfänger, wie sich nachher herausstellte, denn Vertreter aus Dresden, Rostock und Schwerin sicherten im persönlichen Gespräch zu, das Thema wenigstens insoweit zur Diskussion zu stellen, dass die Frage diskutiert würde, ob ich denn einzuladen sei …
Mit der „Wut der Verzweiflung“ bestürmte ich nach der Maßregelung mit den Flyern unsern Klaus Steiniger persönlich und er versicherte mir a) glaubhaft, dass er sich an den Mailwechsel noch erinnerte und b) dass seine Zusage weiter gilt i.S. „aufgeschoben ist nicht aufgehoben“ - die Zahl der Leserbriefe übersteigt eben die der Veröffentlichungsmöglichkeiten um das mehr als Sechsfache (meine Rechnung). Also Geduld.
Bestimmte erhoffte Gesichter entdeckte ich nicht, und dass ich so lange nicht mehr bei einer Berliner Veranstaltung dabei gewesen war, rächte sich auch: Der Regionalgruppen-Vorsitzende konnte mein Gesicht nicht (mehr) zuordnen.


Wiljo Heinen traf ich zweimal. Zuerst am Verlagsstand in jenem Vorraum, dann beim Kuba-Tag im Cafe Sybille. Grins: Gelegentlich muss man darauf eingestellt sein, dass ganz etwas Anderes herauskommt, als man sich vorher dachte. Des herrlichen Herbstwetters wegen war eine Rundumsicht auf dem Dach des Gebäudes in der ehemaligen Stalinallee mit fachkundigen Erläuterungen ein richtiger Genuss. Dass ich Jürgens Marina wegen mich nicht so verloren fühlen brauchte, war auch angenehm … und nun habe ich wenigstens einmal an einem Mujito genippt ...  

"Zeit der Kirschen" - bedenkliche "Identität" und wie ich vorm Damenklo eine Sexisten-Abreibung bekam ...

Wer noch nie aufm Klo des BAIZ gewesen ist, der hat noch eine echte Bildungslücke. Das BAIZ Ecke Christinen- / Torstraße ist zumindest für moderne Berliner Linksalternative Pflicht – und umstritten … versteht sich … aber das gehört dazu.
Gestern nahm nun das Schicksal seinen Lauf, war weiblich und hat bis heute keinen Namen.
„Zeit der Kirschen“ ist eine Truppe, die sich eigentlich vorgenommen hat, monatlich eine besondere Veranstaltung auf die Bühne, also ins Hinterzimmer zu bringen (da ist die Bühne). Die Veranstaltung sollte Kirschen-Leute und Gäste vereinen und Literatur, Theater, Performance- und andere Künste als Ensemble. Im Idealfall alles unter das Dach eines Mottos passend. Gestern hieß das Motto „Identitäten“ und der im Wirrwarr basisdemokratischer Unverantwortlichkeiten mit der Organisation „Betraute“ (einfach: Einer muss es ja machen und wer sich nicht wegduckt, ist selber schuld) stand plötzlich vor dem Problem von grassierenden Krankheiten und Unpässlichkeiten der im BAIZ-Plan Aufgenommenen. Keine Sorge: Ein Programm kam trotzdem zustande und wenn es auch nicht gewohnt überfüllt war, so gab es doch Zuschauer und -hörer.
Irgendein Teufel hatte mich geritten, vom trainierten eigenen Gedichtprogramm abzuweichen, weil um die Mittagszeit der Probedruck von „Der lebende See“ eingetroffen war, und dieses Teufelchen hatte dann gefüstert, die Erzählung „Und welcher nun bin ich?“ passt doch zum Thema wie das Bier in die Kehle von Thekenstehern. Da noch Künstler zum Veranstaltungsbeginn fehlten, sollte ich a) meinen Auftritt teilen und b) den längeren zuerst anbieten. Teufel eben: So kam da Prosastück in die Polposition ohne die Zeitvorgabe einzuhalten. Außer dem Zeitproblem, dachte ich, wäre das Stück angekommen (fehlende Trainingsrunden waren … zu merken, aber nicht schlimm). Zehn Minuten noch für nach der Pause und einen Beitrag noch und Flucht wegen Gesunderhaltungsnotwendigkeit. (Lichtinstallation und so eine Art Scherenschnittheater waren nicht total mein Ding, brachten aber im Gesamtbild Wertungspluspunkte – ich saß gerade an ungünstiger Stelle für das Licht).
Das Schicksal packte mich noch vor den Klotüren, an denen man vorbei muss, also zwischen Weiblein und Männlein, mehr bei Weiblein, weil ich noch die Jacke überziehen musste.
Erster Eindruck, typisch sexistisch: Sympathische junge Dame. Wollte mich sprechen. Und dann folgte der Verriss der Zeitreisegeschichte. Sexistische Klischees bedienend, dass es ihr weh getan habe. Das Schlimme: Im Prinzip musste ich ihr ja Recht geben: Der handelnde „Held“ ein Mann. Die zwei Frauengestalten Opfer bzw. Erduldende, noch dazu zum Klotz am Bein des Helden mutierend. Musste denn unbedingt … Also in einer linksalternativen … müsse man Anderes erwarten können. Mein Argument, dass die missbrauchende Gewalt ja „Nebeneffekt“ eines geplanten Normverstoßes sei, zog nicht. Das hätte ich als Autor ja auch anders bauen können. Ein gleichgeschlechtliches Paar von Frauen, die eine eben künstlich befruchtet, hätte es doch auch getan. Also so unmittelbar vorm Eingang des Damenklos und Leute kamen vorbei und ich hätte schon längst kurz vor Hellersdorf sein sollen, kam mir das auch richtig vor. Ich hatte ein richtig schlechtes Gewissen, den Vormarsch der Emanzipation künstlerisch behindert zu haben und vielleicht war das mit der Druckfreigabe noch rückgängig zu machen … Dann fiel mir noch die Geschichte mit den Liebesflöhen ein, die den Sexualtrieb der Frauen so sehr potenzierte, dass die Menschheit daran zugrunde geht … also wenn die Kritikerin das hören würde. Gut aber da wurde ja wenigstens mit Geschlechterrollen gespielt und ich böser Autor hatte in meiner Zeitreise gar nicht daran gedacht …
Irgendwann kam ich dann doch davon. Vberdammt, ich hatte alles versäumt, um mir meine emanzipative Kritikerin für künftige Lesungen dabei zu haben. Und in den Stunden vor dem Einschlafen bis jetzt wurde mir bewusst: Die Frau, das Mädchen, die Angenehme (Sexistisch positiv Gedachtes könnte folgen) hat; indem sie Recht hat, Recht: Vielleicht hatte ich zu wenig Schmunzeln in den Vortrag gelegt. Erst die Benutzung der Typisierungen macht gerade die Pointe der Geschichte aus. Und dafür, dass die Zuhörerin die Geschichte nicht weiterdenken will und sich eine passende emanzipierte Antwort gibt auf das Ansinnen der drei Herren, die eigentlich ein, also ihr „Mann“ sind, gemeinsam mit ihr zusammen zu leben, dafür kann ich ja nix. Also wenn der Handlung nicht logisch eine nicht zu erzählende Geschichte folgt, in der eine junge Lydia Chefin für drei Herren wird, … dann bin ich wirklich nur Macho. (Was ich ja nun wirklich nicht bin.)

PS: Meine Kritikerin hatte sich als Einzige an der Rollenzuschreibung gestört. Als sie es den Anderen erklärte, stellten die fest: „Ja, stimmt. Du hast Recht.“ Das sollte uns zu denken geben.


2 Lampedusa-Gedichte zum Freitag

Keine Titanic vor Lampedusa
  
Hätte ich drei Klassen,
hätt´ ich einen Namen,
den in hundert Jahren
noch ein jeder kennt.
Doch ich bin nur illegal,
Bin ein Schiff der vierten Wahl.

Vor der Hoffnungsinsel
in Europas Süden
darf mich niemand sehen,
schwimmt kein Berg aus Eis.
Und auf mir gibt´s illegal
Flüchtlinge der vierten Wahl.

Wie sie alle reden,
wie konnt das passieren,
schuldig ist da keiner -
nur ich Schmuggelschiff.
Denn auf mir sind illegal
Passagiere vierter Wahl.

Bald bin ich vergessen.
Europa fest ummauert.
Meinesgleichen sterben
mit der Hoffnung stumm.
Schleus´ ich ja nur illegal,
Passagiere vierter Wahl.


Lampedusa II

Stacheldrahtgeflechte vom Himmel abgedrohnt.
Du Flüchtling ohne Namen du hast nur eine Wahl.
Du wirst ein Europäer, bist tot du eingesackt.
Ansonsten zahlst du Strafe, denn du bist illegal

Maximus Gauckelius, der weiß, was Inseln sind.
Deutschland, das ist keine, da kommst du niemals an.
Und legst du Rettungsfeuer, dann brat auch selber drin.
Du wirst kein Asylant sein. Und das ist gut für dich.

Ach könnt sich das nicht reimen,
dann wär es ein Gedicht.
Mit Blick auf Lampedusa

fehlt´ ihm gereimt Gewicht.

Bekanntmachung ...


Und hier ist es nun: Das erste direkt aus der poetischen Kooperation von Poeten entstandene gedruckte Werk, erschienen im Verlag Verlag neun9zig: Aus dem gemeinsamen Buch von Slov ant Gali, Gunda Jaron und Ricardo Riedlinger "Liebe ... m.b.H." je ein Beitrag der beteiligten Autoren (alles bekannte Gedichte aus diesem Blog ... dachte ich, doch zumindest, was Ricardo anging, erwies sich dies als Irrtum):



Gunda Jaron
"Schade eigentlich"

Slov ant Gali
"Nachruf"

Ricardo Riedlinger:
 "Liebe im Winter" ...

3 Gedichte zum 11. September 1973, dem CIA-Verbrechen an Chile

Ein chilenischer Traum

im kreißsaal der geschichte / sind die bilder noch frisch
von der ohne schmerz und wehenmittel / eingeleiteten entbindung

keine gewalt / hatte dem köpfchen / der Unidad Popular
den blick auf eine menschlichere zukunft frei gemacht
die ersten liter milch / waren schon verteilt

manche hebamme / wischte heimlich tränen ab:
könnte nicht jedes neue kind / so friedlich / geboren werden?

da kam die generalsjunta / vom antizukunftsgeburtsamt
und sie zertrümmerte / kind und dichter und
erstickte gesänge der hoffnung

doch im so gewandelten eissaal der geschichte
hauchten schon die nächsten Schwestervölker
in die steif gefrorenen hände.
Patcha Mama bleibt fruchtbar / sie nimmt sich die Zeit
damit eine bessere Welt heranwachsen kann.

Für Victor Jara, 1973


Verloren ging mein elfter September.

Es ist der Tag nicht, den sie besetzten!

Niemand wurzelt aus ihm seinen Terror.

Mein elfter September liegt in älterem Grab.

Meiner ließ die Gitarre brechen.

Meiner ließ die Hände zerschlagen.

Meiner ließ Hoffende erschießen.

Wenn du das unscheinbare Grab findest,
setze darauf eine Rose.



Am Ozean dem Stillen

Welch Großer Gesang
Und die Kordillieren verteilten sein Echo
Und die sich an Händen hielten wurden mehr und mehr
Und sie einte Weg und Ziel sie hatten frei gewählt
Und es schien Frieden mit denen deren Leben Krieg war
denn Menschlichsein heißt auch sich irren.

Die Judasse aber nahmen Silberlinge
Die Generäle gehorchten denen die das Geld gaben
Die befahlen tötet alle die ihre Stimme erheben

Die Treuen traf es zuerst
Trauriger Tag als der Tod Allende fand 
Und der Poet dichtete nicht mehr
Und der Sänger sang nicht mehr
Und die Saiten der Gitarre schlug niemand mehr an
Aber im Echo lebte der Große Gesang weiter
Zwischen Schnee und Eis blickte der Gipfel des Cerro El Roble hoffend zum Himmel

denn nie gehört die Ewigkeit den Mördern

Das Freitagsgedicht (54)


Senry

was kann ich schon tun
ich bin ein nichts so allein
alle ichs sind schuld

Das Freitagsgedicht (53)

Haiku

Trauerweidenwald
Zweige peitschen mein Gesicht
Kein Weg hin zu dir

ein Antifa-Tag

Mittwoch, 7.30 Uhr.
Augenblicklich gefühltes Alter: zwischen 105 und 110 Jahre
mehrere Teile des Halteapparats (hauptsächlich Knie und Wirbelsäule) scheinen geschwollen
Gesamtgefühl: positiv

Inzwischen habe ich in der jW die Berichterstattung gelesen. Eigentlich eine ärgerliche, denn ob mit Absicht oder nicht – sie wird dem Stadtbezirk so wenig gerecht wir den Ereignissen, wenigstens, soweit ich sie miterlebte.

Über Liveticker https://twitter.com/AntiRa_Info_MH wurde aufgerufen, um 17.30 Uhr am ehem. Max-Reinhardt-Gymnasium zu sein. An der nächsten ecke sei eine NPD-Demo angemeldet.
Nun verbindet sich mit diesem Gymnasium sehr persönliches. Meine Tochter war dort nicht nur „Schülerin", sondern sie war es unter Vorzeichen, dass wir uns selbst als "Wirtschaftsflüchtlinge" betrachten konnten. Hätte sie nicht außerordentliche Aufnahme gefunden, wer weiß, wie viele persönliche Entfaltungsmöglichkeiten ihr unverschuldet versperrt geblieben wären …
Jedenfalls war ich 17.30 Uhr zugegen. Zu diesem Zeitpunkt war nur ein mageres Häuflein besonders hart gesottener Antifas zugegen. Lustig, dass etwas später per Lautsprecher angesagt wurde, dass sich anfangs die Flüchtlinge vor ihnen gefürchtet hätten. Es ist wahrscheinlich sehr viel von den engagierten Jugendlichen verlangt, zu bedenken, dass sie durch ihren äußeren eindruck die Solidarisierung der gewöhnlichen Anwohner mit ihnen erschweren …
Nun gut. Die Pünktlichkeit war nicht das allzu tief verwurzelte Merkmal der gleich Gesinnten, aber eventerfahren sammelte sich in der nächsten Viertelstunde eine respektable Zahl von menschen, die unter der Losung „Refugees welcome" antreten wollten. Und dann kam die Meldung über Lautsprecher, dass wir einer Falschmeldung der Polizei aufgesessen seien. Die Veranstaltung der Hardcore-Rechten sei auf dem Alice-Salomon-platz angemeldet, etwa eine U-bahn-Station entfernt.
Eine "Völkerwanderung" setzte ein. Warum die Polizisten, von denen wir bis dahin wenige zu Gesicht bekommen hatten, (nur) eine Laufrichtung blockierten, klärte sich später: sie verhinderten damit, dass die Antifas im Rücken der Rechten ankamen.
Deren Veranstaltung verdiente sich einen Sprechchor besonders: "Ihr seid so lächerlich ..."
maximal (!) 30 Maria-statt-Scharia-Wahlkämpfer erfreuten sich eines beschützten Eckchens. Die Zahl der Gegendemonstranten wage ich nicht zu schätzen. Sie dürfte zwischen 300 und 1000 gelegen haben.
Das Auftreten der Polizei war nicht eindeutig. Die offen Antretenden waren deeskalierend wenige. Trotzdem verzichteten einige Trupps nicht auf provozierende Angriffe. Von einer der zur Gewaltbereitschaft Ausgerüsteten bekam ich immerhin ein zustimmendes Nicken auf meinen Ruf "Schämt euch!". Der Angriff, mit dem wahrscheinlich der Durchmarsch der vergeblichen Hetzer auf die Platzmitte erreicht werden sollte, wurde zur Lachnummer. Hinter den eingebrochenen Polizisten schloss sich die Schneise wieder – es passierten noch mehr Kleinigkeiten, die den Uniformierten die Unrühmlichkeit ihres Auftretens nahe brachte – nicht nur die Sprechchöre "Wo wart ihr in Rostock?".
Worüber in der rechten Ecke akustisch öffentlich akustisch onaniert wurde, drang nicht durch. Da waren dann auch weniger geschmackvolle Rufe wie "Halt die Schnauze!" ausreichend.
20.30 Uhr war dann meine Körperkraft restlos erschöpft. Ich versuchte, per Heimwanderung die Bewegungsfähigkeit wieder herzustellen. Ob es Taktik der Polizei gewesen sein könnte, einige Rechte in die Nähe der Flüchtlingsschule zu lassen, indem sie uns von dort weglockten, kann ich nicht sagen. Aus dem Ticker kam jedenfalls keine Katastrophenmeldung.
Zusammenfassend kann man die Gegendemo als gelungene Ehrenrettung eines in falsche Schlagzeilen geratenen Stadtbezirks betrachten … oder doch nicht ganz. Zwar kamen die Rechten nicht zum Zuge und nur der Polizeischutz ermöglichte ihnen ihre peinliche Zusammenrottung, doch blieb auch auf dem zentralen Platz von Hellersdorf der "normale Hellersdorfer" unterrepräsentiert. Müssen sich die braven Bürger wirklich von Jugendlichen, die sich auf ihrem T-Shirt sarkastisch selbst als "3. Wahl" abqualifizieren, zeigen lassen, was eine menschliche Haltung ist? das schließt linke Politiker ein, die mir nicht aufgefallen sind. Haben die Angst, mit Ausgespuckten der heutigen Ellenbogengesellschaft zusammen gesehen zu werden … weil das Wählerstimmen kosten könnte?


Ein Sprechchor am Rande: "Ihr habt den Krieg verlorn!" Ein Bekenntnis zur Leistung der Roten Armee, die die Hauptlast trug und die Hauptleistung vollbrachte, die Welt mit Deutschland darin vom Faschismus zu befreien. Dass sich das gegen die unverbesserlichen neuen Faschismus richtete, war klar. Irgendwie richtete es sich aber eben auch gegen die Masse der Mitläufer, der deutschen, die eben versäumt haben, eine Katastrophe zu verhindern, als das noch gegangen wäre, und dann wie besoffen über Menschen hergefallen sind, denen nur ein Verbrechen zur Last gelegt werden konnte. Sie wollten leben … und heute wollen sie es immer noch ...  

Das Freitagsgedicht (52)

Am Ozean dem Stillen

Welch Großer Gesang
Und die Kordillieren verteilten sein Echo
Und die sich an Händen hielten wurden mehr und mehr
Und sie einte Weg und Ziel sie hatten frei gewählt
Und es schien Frieden mit denen die Krieg atmen 
denn Menschlichsein heißt auch irren.

Die Judasse aber nahmen Silberlinge
Die Generale gehorchten denen die das Geld gaben
Die befahlen tötet alle die ihre Stimme erheben
Die Treuen traf es zuerst
am Tagen als der Tod Allende fand 

Und der Poet dichtete nicht mehr
Und der Sänger sang nicht mehr
Und die Saiten der Gitarre schlug niemand mehr an
Aber im Echo lebte der Große Gesang weiter
Zwischen Schnee und Eis blickt der Gipfel des Cerro El Roble hoffend zum Himmel
denn nie gehört die Ewigkeit den Mördern

Das Freitagsgedicht (51)

Versteh mich

 ist es schlimm
wenn ich
nicht ich
sein möchte?
 du sagst
ja
doch wollte ich
ich sein
wäre ich
nicht ich
und du
müsstest mich
nicht so sehr
lieben weil
für mich

reichte ich mir

Bemerkt ...

Das ist doch mal was: Überraschend kam die Meldung, dass die Tageszeitung "Neues Deutschland" das Buch "Gemeinschaft der Glückssüchtigen" zur Kenntnis nahm und am 20.6. auf der Seite "Politisches Buch" folgende "Leseprobe" veröffentlichte (ob das ein Leser bemerkt hat?):

Hier schreibe ich – ich kann nicht anders. … Ich möchte einladen zum Be-Denken von Alternativen im Zusammenleben der Menschen. Schluss mit dem Glauben, es gäbe keine. Ihr müsst mir ja nicht folgen. … aber lest! Gerade ihr, die ihr meint, einer, der in der DDR aufgewachsen ist, der muss entweder den „Kommunismus“ restlos satt haben oder ein unbelehrbarer Sturkopf sein. … Ich wünsche mir die freieste, individuellste, menschlichste Gemeinschaft, die sich Menschen zum Zusammenleben gestalten können. Es graust mich davor, was passieren wird, wenn wir nicht rechtzeitig anfangen, sie zu schaffen: Wahrscheinlich vernichten wir unsere Existenz. Da muss man doch etwas tun … Nein, Herr Bundespräsident, ich kann mir „glückssüchtig“ nicht als Schimpfwort vorstellen. So wenig, wie ich mir wünsche, von meinen Kinder erfahren zu müssen, sie sind bei XY „im Kampf“ für … gefallen oder sie haben keinen „Job“ und damit kein Auskommen, ihr Leben zu fristen, überhaupt, sie seien „unglücklich“, so wenig wünsche ich das irgendeinem anderen Erdenbürger. Ich finde es richtig danach zu suchen, wie am besten gesichert werden kann, dass jeder sich als nützlich empfinden, das Gefühl haben kann, gebraucht zu werden, dass er rundum zufrieden ist, glücklich eben. ... Fangen wir an! Suchen wir die Stelle, von der aus wir nicht nur die vorhandene Welt in Frage stellen, sondern über ihren Tellerrand hinaus denken. Wer sich beschwert, meine „Philosophie“ reiche nur für einen Stammtisch, … dem sage ich, setz´ dich doch dazu! Philosophiert mit mir gemeinsam. Nur weil ich Wasser trinke, braucht ihr euch ja das Bier nicht zu verkneifen. Also Prost! Denken wir uns die Welt neu! Und dann machen wir sie uns so … ...

Das Freitagsgedicht (50)

Galaxis Ich


Du bist / ein Ich.
Bist du / mein Ich?
Ich falle / aus deinem
in meinen Rahmen.
Bist du / auch
wie ich dich sehe
in mir / oder bin ich
was ich / in dir sehe,
wenn ich mich male?
Ich bin / ein Nichts
ohne dich, / so wie du
ein Nichts bist / ohne mich.
Aber / indem ich sage,
ich bin ein Nichts,
bin ich,
weil ich mich liebe.

"Freiland" erobern - zur Erinnerung an die Bücherverbrennung vor 80 Jahren

Es gibt die verschiedensten Gedenkveranstaltungen an den Tag der Bücherverbrennung vor 80 Jahren. In Potsdam wird aus diesem Anlass die antifaschistische Bibliothek mit den vor 80 Jahren auf die Verbotsliste gesetzten Einzelwerken und in die antifaschistische Bewegung eingreifenden Werke im "Freiland" neu eröffnet. Nach der Hessestr. 19 soll nun die Friedrich-Engelsstr.22 zur einschlägigen Adresse werden - mit größerer Chance, weil hier schon linke Jugendgruppe einen Platz gefunden haben

Was schon nicht mehr erwartet worden war: Dort wird erstmals öffentlich die "Gemeinschaft der Glückssüchtigen"
vorgestellt ... wenn auch nur am Rande ...

Die gelben Schafe



Es gab einmal eine Zeit, da lebten friedlich weidender Schafe in einem abgelegenen Tal zwischen Bergen, die an sonnigen Tagen den Himmel kitzelten.
Eines Tages kamen dort drei Bergsteiger an, und weil sie hungrig waren vom langen Aufstieg und dem Abstieg in warmer Mittagssonne, nahmen sie einen Eispickel und schlachteten eines der ahnungslos grasenden Tiere. Zum ersten Mal seit Schafsgedenken wurde die wütend. Sie drängten sich eng aneinander, hielten Rat, was zu tun sei, und schon nach kurzer Zeit trampelten Schafsklauen auf die Bergsteiger zu, sodass diese in heilloser Flucht über die Berge davonrannten.
Nicht viel später aber kamen sie zurück, begleitet von drei Hunden. Die rannten um die Herde herum und wirkten sehr bedrohlich. Wo immer sich die Schafe zusammenfanden, um sich abzusprechen, wie sie sich wehren könnten, übertönte das Hundegebell ihr schüchternes Blöken und einzelne von ihnen wurden aus der Herde abgedrängt und von ihren Schwestern und Brüdern nie wieder gesehen. Es hieß nun, Schafe seien dafür da, dass Menschen etwas zum Essen hätten und um sich vor der kalten Luft zu schützen.
Eines Tages jedoch stritten sich zwei der Hunde um ein besonders schmackhaftes Stück Schafsfleisch, das ihnen die Schäfer hingeworfen hatten. Das nutzten die Schafe aus. Ein leises Blöken von Tier zu Tier machte die Runde und dann rannten alle gemeinsam auf den dritten, den einzigen Wache haltenden Hund zu, und ihr Trampeln war viel lauter, als der hätte ihnen Angst einflößend kläffen können. So geschah es, dass drei Schäfer und zwei Hunde über den Bergkamm flohen, und die Herde friedlicher Schafe den dritten Hund in einer Mulde begrub.

Irgendwann aber da kamen neue Schäfer, wieder begleitet von drei Hunden, die sie sorgsam an Ketten gelegt hatten. „Ihr lieben Schäflein“, riefen sie, „ihr werdet auf dieser Welt niemanden finden, der es besser mit euch meint als wir. Merkt ihr es denn noch nicht: Jetzt, wo die Sonne so fürchterlich brennt, schwitzt ihr gar jämmerlich. Euer Fell juckt und ihr wäret sicher glücklicher, wenn wir euch davon befreiten.“
Da vergaßen die Schafe die Zeit, als sie frisch geschoren bitterlich gefroren, und sie träumten davon, die Last ihrer Wolle abgenommen zu bekommen. Die Schäfer fuhren fort: „Und den Schmerz in euren Eutern können wir euch auch nehmen.“ Die Schafe sahen einander an. Ja, die Euter waren längst daran gewöhnt, immer wieder gemolken zu werden. Sie hatten mehr Milch, als die Lämmer soffen.
Wir möchten euch ja nur warnen“, fuhren die Schäfer mit weichen Stimmen fort. „Das Schlimmste für euch wären gelbe Schafe in eurer Herde. Schwarze kennt ihr und sondert sie aus. Aber gelbe?! Die müsste man unbedingt scheren und melken und ihre Lämmer schlachten und überhaupt bedürfen sie der Hunde, die ihnen im Auftrage kluger Schäfer zeigen, wohin sie laufen dürfen und wohin nicht, damit sie euch nicht verderben. Das seht ihr doch ein?“
Den armen Schafen wurde ganz unheimlich zumute: Gelbe Schafe … Wie bedrohlich das klang! Ja, gegen gelbe Schafe musste man etwas tun. Und so freuten sie sich auf den Schutz durch kluge Schäfer.
Entscheidet selbst“, beschworen sie die Männer, „wollt ihr, dass wir uns mit unseren Händen, unserer Schere und unseren Hunden um die gelben Schafe kümmern?“
Die Schafe aber, die noch nie zuvor von gelben Schafen gehört hatten, blökten zustimmend. Schon tauchten neue Bergsteiger zwischen den Gipfeln auf. Einer von ihnen wies sich aus als „Fachmann für schafspezifische Erkrankungen“, man dürfe ihn Arzt nennen und er werde nun ein Schaf nach dem anderen untersuchen. Jedes von ihm in Augenschein genommene Schaf aber bekam ein Zertifikat umgehängt. Darauf stand: „Gesund, aber farbenblind“.
Nun wurden sie, wieder einzeln, zum zweiten neuen Bergsteiger geschickt, auf dessen Visitenkarte stand: „Unabhängiger Spezialist im Institut zur Begutachtung visuell erkennbarer Abnormitäten in regional abgelegenen Schafspopulationen“, worunter sich keines der Schafe etwas vorstellen konnte. Jedem jedoch erklärte der Spezialist mit trauriger Stimme, aber was noch wichtiger war, er hängte es ihm als Schild um, damit es alle anderen Schafe lesen konnten: „Dieses Schaf ist gelb.“
Wie entsetzt betrachteten einander nun die Schafe! Mal schauten sie sich aufs Fell, mal auf jenes Dokument, das in verschnörkelter Schrift überschrieben war mit „Gutachten“. Noch vermeinten sie zwar, Ihresgleichen zu sehen, die weiß, wenn auch leicht verschmutzt waren, aber wenn dort stand, sie seien gelb, dann waren sie es wohl.
Wie leicht hatten es nun die Hunde, die sie und die anderen Schafe fürchtenden Schafe dorthin zu treiben, wohin die Schäfer sie haben wollten. Als die ersten Lämmer herangewachsen waren, bedurften sie des Gutachtens nicht mehr: Sie hatten längst gelernt, dass sie gelb waren – und was das bedeutete. Und sollte es eines nicht gleich glauben wollen, so wurde es geschlachtet oder es kam aus dem großen schönen Haus der Gutachters überzeugt zurück, gelb und farbenblind zu sein.
Und wenn sie nicht gestorben sind, … dann schlachten die Schäfer noch immer zu Ostern nur Lämmer mit gelbem Fell, und sie scheren Schafe, wenn auch nur noch zum Vergnügen für Nichtschäfer, denn die Zeit, da sie sich in die warme, aber grobe Wolle der gutmütigen Tiere hätten hüllen wollen, ist längst schon Vergangenheit .... 

Das Freitagsgedicht (49)



Bereicherung

Zwei Menschen haben mein Gedicht gelesen
von Armen und Reichtum auf dieser Welt.
Es half den beiden beim Genesen
vom Virus namens Jagd nach Geld.

Die Verse haben mir noch nicht gefallen,
die Reime waren weder rein noch gut.
Ich zeigte sie herum trotz allem.
Welch selbstgerechter Übermut.

Und dennoch sind sie nutzvoll angekommen.
Sie starben nicht im eitlen Kunstvergleich.
Schon der Versuch wurd' angenommen
und meine Freude macht mich reich. 

Wie fern ist doch die Kunst dem Leben,
denn Reichtum bringt, sie fortzugeben.

Das Freitagsgedicht (48)


Lemminge



Vielleicht ists schlimm, voll Herdentrieb zu sein.
Mein Schicksal hängt am Fuße eines andern.
Ich fühl mich wohl, ich bin ja nie allein.
Doch kopflos werd´ ich in den Abgrund wandern.

Die Ahnung drückt mit wachsendem Gewicht.
Um mich herum seh ich nur Lemmingmassen,
Nur wo der Ausweg wäre, seh ich nicht
und möchte doch das Unfassbare fassen.
Ich laufe keinen andren hinterdrein,
woraus auch immer die die Richtung grad gewonnen.
Doch rettete ich mich allein,
wär alle Freiheit mir zur Einsamkeit geronnen.

Ein Lemming lebt auf dieser Erde
nun einmal glücklich nur in seiner Herde.

Wer auf die Bühne steigt ...

... übernimmt damit eine Verantwortung. Er fabriziert sich nicht nur selbst, sondern er ist in dem Moment zuständig für die Zeit seiner Zuhörer. Die müssen nachher sagen können, es war schön, meine Minuten genau für diese Wahlmöglichkeit verausgabt zu haben (und nicht: Wär ich lieber daheim geblieben. Ich hätte die Texte auch lesen können.)
Der Künstler ist dabei sowohl zuständig für seine Botschaft als auch dafür, dass sie ankommt. Deshalb sollte er ausreichend sich selbst testen, dass er sich möglichst auch unter widrigen Umständen in einen Zustand hineinsteigert, aus dem heraus ein Publikum mitreißen kann.
Lesungen im engeren Sinn sind ein Sonderfall, weil das Publikum "nur" jemanden erwartet, der liest. Ist ein "Programm" angekündigt, muss auch eines kommen.

Nicht so gut gewesen ...

Nun muss ich in mich gehen: Es kann nicht jeder alles. Slov ant Gali ist eben eigentlich kein Showtyp, der alle Unsicherheit überspielen kann.
Der Auftritt im BAIZ gestern war sehr chaotisch. Sollte der als Generalprobe durchgehen, darf man sich auf die Premiere freuen - es war aber Premiere ...
Das BAIZ sollte man kennen - auch wenn nicht vorübergehend Hinterzimmer-Rauchverbot vereinbart wurde:
Es begann mit der Unsicherheit der Anfangszeit. Auf FB stand 19.00 Uhr, im Programmheft 20.00 Uhr, angefangen haben wir 20.05 Uhr und der Raum überfüllt hatte sich dann um 21.00 Uhr. Das war besonders problematisch, weil mehrmals Stühle nachträglich aufgestellt wurden. Vielleicht wäre ich besser beraten gewesen, meinen Prosatext zu lesen, mich am Blatt festzukrallen und unabhängig, was im Raum passierte, die Pointe anzusteuern. Das wäre zwar für die meisten Zuhörer ungünstig gewesen, weil sie den Anfang nicht erlebt hatten, aber ich hätte wenigstens mich selbst im Griff gehabt. Vielleicht ... nein: Ich werde nie Gedichte und Lieder richtig lernen. Ich brauche den Text vor Augen ... und der verschwamm vor eben diesen in Anbetracht des Blendlichts total. Ergo: Knapp an der glatten Sechs vorbei ... und das geht halt nur, wie das Programm andeuten sollt, nur, wenn ein Papi da ist, durch den man keine Divi-sion braucht, weil man Divi-dende kassiert. Gut fürs Publikum: Als nächster war Frank Viehweg dran - der konnte nicht nur mit der Situation spielen, sondern auch fesselnd singen ... (in der späten Pause flüchtete ich in meine Krankheit ...hoffentlich fiel das keinem der dann antretenden Künstler auf - die Chance wegen de Überfüllung war groß)

Das Freitagsgedicht (47)


bei vollmond


das klare wasser
spiegelte
den wölfen
menschengesichter
entgegen
da heulten sie
ihr leid
zum mond

als sie danach aber
ihre fänge
im wasser kühlten
und den durst löschten
waren sie wieder
wölfe
am waldrand

wir belachten
am lagerfeuer
die abwegige fantasie
des fabulierenden indianers

welch unsinn
klares wasser
da hätte kein wolf
geheult

Das Freitagsgedicht (46)


Animageddon


Ein vergeblich untergetauchter Lachs
spuckt singend
Blut in die Flut.

Ein schwitzender Eisbär
bräunt sich sein
Unschuldsfell.
Myriaden von Spatzen
ersäufen Krümelverweigerer
im endlos steigenden
Wattenmeer.

Eine weinende Eule
verabschiedet letzte Menschen
aus dem Licht.

Ratten
buchstabieren
Op-tions-schein.

Durch die breiten Straßen
Frankfurts treiben
Bullen und Bären
Nadelstreifen ins Nichts.

Das Freitagsgedicht (45)


Jahreswechsel


Komm, ich reim dir eine Sonne
in das neue Jahr hinein
und die wird kein böses Zeichen
für den Klimawandel sein.

Komm, ich häng in unsern Kirschbaum
einen Mond mit Sichelform
und bedecke dich mit Küssen,
denn die kleiden dich enorm.

Für verträumte Augenblicke
schieb sie weg, die böse Welt.
Pfeif auf Ticketautomaten!
Bleibst du hier, fehlt uns kein Geld .

Das Freitagsgedicht (44)


 Pietät?


Auf welche Weise
sollten wir ihn
beerdigen?
Im Eichensarg
vor dem letzten Weg
von bezahlten Kosmetikern
zu jugendlicher Scheinfrische geschönt?
Noch einmal mit krematorialer
Rauchfahne verkündend,
vom Vertreter Gottes auf Erden
sind wir erlöst?
Oder sorgen wir dafür,
dass seine Spuren sich
auf der Erde verlieren?
Vielleicht fertigen wir noch
eine kunstvolle Urne,
dass nach Jahrtausenden
verwunderte Baumeister
auf erfrischter Krume
etwas finden, um sich zu wundern.
Ja, werden sie sagen,
damals, werden sie sagen,
war die Zeit des Schwarzkünstlers
mit den vielen Pseudonymen.
So viele vergessen sein werden,
die Urne ziert nur
KAPITALISMUS.

Das Freitagsgedicht (43 a)

AUS


wirzeit
weltraumkalt
unsere liebe
erfroren
kristalle atmen
ins leere
nichts
trägt mehr
töne

Das Freitagsgedicht (43)


schwere-los

unsere liebe
weltraumkalt
kristalline atemluft
ins leere
nichts
trägt töne
einer wirzeit
nur anderensterns
atmosphären 

Wieder was zum Besprechen im FAK


Nach der Balzzeit

Manchmal
möchte ich
liegen bleiben.

Deine Blicke
streicheln mich
Armer kleine Junge
hat sich weh getan.

Und ich sage
ja

Und du setzt dich,
lehnst meinen Kopf
an deine Brust,
bis sich das
unbändige Steh-auf
an mir meldet,
hörst unausgesprochene
1001 Wahrheiten
von meiner
Endlosplatte an.

Manchmal
sagt mein inneres
Manchmal,
steh auf!
Wie soll sie sich anlehnen
an deine Brust.
Vielleicht
möchte sie das
gerade jetzt.

Ohne Liebe, physikalisch


Ich
deine Liebe
vergessen?
Minus 273 Grad
auf dem
Gefühlsthermometer?

Die Luft
in meiner Nähe
fiele kristallin
auf den Boden.

Fern von mir
verdampfte sie
vielleicht wieder
zu sich selbst.

Also küss mich warm
für deine
Luft

Meiner Muse


Aufs Rad gebunden
nackt
dem Gelächter der Sonne
dargeboten
zittere ich
deinem lang entbehrten
Kuss entgegen.

Willst du uns nicht mehr,
wimmern alle Poren,
dann dreh
wenigstens
am Rad

Könnt ich mich doch
selbst küssen!

Oder binde mich
los und
komm
aufs Rad!
Mein Mund
bringt dir
mir versagte
Opfer







Fett bin ich nicht - Beste Wünsche zum neuen Jahr ...


                                   Obelix

Startschuss. Alle liefen los, jeder bemüht, sofort auf die Innenbahn zu kommen. Obwohl sie ihn Obelix nannten, … hier herrschten eigene Regeln. Offenbar hatten die anderen einen Antrittsschritt mehr oder ihre Schritte waren länger als seine oder … Obelix wusste es besser: Er bremste ganz unbewusst seine Massen. Er liefe sonst wem auch immer als Hindernis vor die Nase, kostete die anderen zusätzlich Kraft, und er würde sowieso überholt werden. Früher oder später, aber spätestens nach der ersten Runde hätte er seinen Platz. Von den 30 gestarteten Jungen der beiden Klassen den letzten. Nicht irgendwie „Letzter“, er würde nicht einmal die Chance haben, im Windschatten eines anderen sich für einen Moment auf dessen Hacken zu konzentrieren. Nein, diese Art der Ablenkung stand ihm nicht zu. Weit abgeschlagen würde er sein, einsam hinterher laufen und für wenige Minuten niemandem im Weg sein, weil er im Rücken aller vorwärts rollte, und niemand ihn so sah, um über ihn zu lästern. Außer dem Sportlehrer vielleicht, aber der stand auf der anderen Seite.
Der eckige alte Sportplatz hatte Vorteile. Jeder normale Platz war überall rund, richtiger oval, und es gab keinen Punkt, an dem man seinen Zwischenstand bestimmen konnte. Man hatte nur den Vordermann oder den keuchenden Atem der Verfolger. Obelix hatte beides nicht. Er hob den Kopf nur an der ersten Ecke und der zweiten Ecke und der dritten Ecke und er freute sich an den Ecken, denn sie sagten ihm, dass er ein, zwei, drei Viertel der ersten Runde geschafft hatte. Nein, diesmal würden sie ihn nicht neben der Bahn liegen sehen wie einen Ölfleck. Sie würden ihn nicht in der Hofpause als Obelix benutzen, einzige Sportaufgabe, zu der er taugte: Zwei Jungen packten seine Arme. Dann hatte er sich zu drehen. Seine Masse bildete den Schwerpunkt und manchmal hingen an den zweien noch zwei andere, dass es aussah wie ein Kettenkarussell. Bis Obelix dann umkippte, keine Luft mehr bekam, sich alles drehte, und die Jungen lachten. Dafür war er nütze, dass die anderen lachten. Heute nicht. Heute würden sie nicht lachen. 60 Minuten laufen. Er würde die ganzen 60 Minuten laufen. Vielleicht noch die letzte Runde, nein, bestimmt die letzte Runde beenden. Dann würden sie ihn nicht hänseln, ob er seinen Schwanz sehen könne unter der Dusche. Was ging es sie nur an? Es war sein Bauch, sein Schwanz …
Eine ganze Runde war geschafft. Wer 30 Runden geschafft hatte, der war fertig. „Sehr gut!“ würde er zugerufen bekommen und eine Zeit. Für den Rest zählten die geschafften Runden nach 60 Minuten. Für ihn waren noch nie die geforderten Minuten Ausdauer in Frage gekommen. Manchmal war er glücklich gewesen. Wenn er hatte „Seitenstechen!“ rufen können, man ihm die Schmerzen ansah und das entschuldigte das Aufgeben. Aber meist … Wie klang denn das: „Ich kann nicht mehr!“ Keiner verstand das so richtig. Die Beine waren nicht nur schwer und immer schwerer, die Herzschläge waren so laut, dass er kaum etwas anderes hören konnte, die Lunge schaffte nicht den nötigen Sauerstoff, er sah Kreise, Punkte, Farben vor Augen, die garantiert nicht da waren, schwankte, wollte sich hinwerfen, traute sich aber nicht, denn er würde wieder aufstehen müssen und … dann sah er in den Augen derer, die ihn dabei beobachteten, nur eine Diagnose: FETT!
Das siebte Viertel begann. Die Beine hatten sich in Klumpen verwandelt. Wie Blei sagte man. Warum eigentlich? Die Dichte von Gold war doch viel höher. Warum fand niemand das lyrisches Bild, dass ihn die Beine wie ein riesiger Klumpen Gold auf den Boden zogen. Obelix fand es und er wusste, dass er davon niemandem würde erzählen können, obwohl es war doch ein schönes Bild, sich vorzustellen, viele Kilo Gold hingen an ihm und er würde sie bis zum Ziel schleppen, wenn er sich bis ins Ziel schleppte.
Das achte Viertel. Nun ging es los. Obelix hörte das erste Keuchen hinter sich. Zum zweiten Mal auf der Zielgeraden, die noch lange nicht das Ziel bedeutete, und er wusste, was er zu tun hatte. Er war wieder im Weg. Zeit, in eine der Mittelbahnen auszuweichen. Bei ihm kam es nicht so darauf an. Die ihn jetzt überholten, hofften noch auf eine gute Zeit. Er … durfte sich nicht einmal für einen Moment in den Windschatten eines der Schnellen kugeln, denn damit behinderte er ja die nächsten, die ihn auch überholen mussten. Hauptsache, er hielt einen, also seinen Rhythmus durch. Nicht schlapp machen! Gut gesagt – er WAR schlapp. Es war Zeit für sein Ende.
Manche Frösche oder Kröten hatten so komische Säcke, die sie aufpumpen konnten, bevor sie ihre Geräusche ausstießen, quakend, zitternd, lebensbegierig. Obelix kamen seine Schläfen so aufgepumpt vor. Würde er jetzt gleich zu quaken beginnen? Oder eher wie der verzauberte Prinz an die Wand, also praktisch auf den Platz geklatscht werden? Er hatte nicht mitgezählt, wer ihn alles schon überholt hatte. Es wahr wohl die elfte Gerade, als ihn die Ersten zum zweiten Mal überholten. Einmal aufblicken. Die dreißig Jungen waren jetzt auf der gesamten Bahn verteilt. Nein, nicht gleichmäßig. Die meisten hatten sich zu Grüppchen verklumpt. Zu zweit, zu dritt, ja, sogar zu fünft sich moralisch aneinander festhaltend. Nur Kalle und der Tiger überholten für sich allein. Ein paar Augenblicke blieben Obelix noch bis zur nächsten Überrundung. Laufen, weiter laufen.
Lief er noch? Detlef und Ticke legten eine Pause ein. Ein paar Schritte, als spazierten sie hinterm Ziel, vorbeugen, strecken ... Dann liefen sie wieder weiter. Sollte er auch …? Nein! Er wusste: Einmal nur und er würde nicht wieder loslaufen können. Jede Sehne lauschte auf das Kommando AUFHÖREN. Nein! Er würde nicht aufgeben!
Nur nein zu sagen ist eine schwache Energiequelle. Der Sportlehrer zeigte Obelix eine 5 und rief noch 15 Minuten. Aber das galt wohl eher den beiden, die zum Überholen ansetzten. Entsetzt merkte Obelix, dass ihm die Kraft fehlte, in die Mitte auszuweichen. Die beiden aus der Nachbarklasse merkten es nicht einmal. Sie umliefen ihn wie ein bewegliches Hindernis … übrigens zum ersten Mal. Nicht jeder hatte gleich viel mehr Laufkraft als er, der fette, schwache Obelix. Er hätte zwar den Fettverbrauch der einzelnen Beteiligten genau berechnen können, am Computer, mit einem selbst entwickelten Programm, dessentwegen ihn jetzt alle ausgelacht hätten.
Die Zahl derer, die ihn weiter überholten, nahm ab. Die Müdigkeit hatte nun auch andere Goldbeine erreicht. Andererseits … Die ersten drei machten bereits auf dem Platz Lockerungsübungen. Die hatten es geschafft. Obelix sah von weitem wie eine Dampfwalze aus oder ein Stier. Arme angewinkelt, Kopf vorgebeugt. Je näher man ihm gekommen wäre, umso enttäuschter wäre man gewesen. Wegen der Schwere der Schritte und wie langsam und müde sie aufeinander folgten. Kaum schneller als beim Wandern … also bei Jungen, die nicht waren wie Obelix. Aber wer hätte schon bei ihm hingesehen. Welches Mädchen beobachtete schon einen Jungen, um sich über seine vergeblichen Mühen zu amüsieren. Es war zum Heulen und eigentlich, wenn man nahe genug herangekommen wäre, hätte man es gesehen: Der Junge, den sie alle Obelix nannten, heulte wirklich, hilflos und im Bewusstsein, dass es sowieso niemand bemerken würde.
Endlich die letzte Runde. Drei Mitschüler hatten inzwischen aufgegeben. Sie lagen am Rande der Bahn. Die 60 Minuten waren um. Der Sportlehrer winkte jeden heraus, der an ihm vorbei wollte. Obelix sah es vom Wendepunkt aus nach dem zweiten Viertel der Runde. Wahrscheinlich war keiner mehr hinter ihm. Wenn er jetzt in langsamen Spazierschritt verfiele, würde es niemanden stören außer dem wartenden Sportlehrer. Der aber fand sowieso immer etwas gegen ihn. Zwei Jungen vor ihm hatten die Situation genauso gesehen. Sie schlenderten ihre Restrunde. Ob sie ihn zuvor überholt hatten? Egal. Nun walzte er an ihnen vorbei. Auf der Mittelbahn wie bei ihm üblich.
Ein Viertel blieb noch. Da war noch Ecky. Der konnte sich offenbar nicht entscheiden. Fünf Schritte trabte er, fünf ging er gemäßigt. Dann Schwung … Obelix hatte einen Moment hochgesehen, den Jungen vor ihm fixiert, abgeschätzt, er könnte es schaffen. Nur woher noch Kraft holen? Sprint war noch weniger seine Sache als lange Strecken. Er stampfte auf, trat auf den Untergrund, als wollte er ihn für alle Demütigungen bestrafen, die andere ihm bereitet hatten. Obelix merkte, dass er entgegen jeder Vernunft beschleunigte. Er kam seinem Vordermann näher, näher, immer näher …
Es mochten die letzten drei Meter sein, auf denen er, Obelix, überholte. Begeistert riss er die Arme hoch. Sieg! Er war auf Platz 24 eingekommen. Nur undeutlich vernahm er die Stimme des Sportlehrers: „Schade! Eine Runde fehlt. Diesmal habt ihr es noch nicht geschafft ...“



Ein Hoch …


ein hoch auf die auf dreckplatz vier,
die neunten, plätze vierundzwanzig,
ein hoch auf alle fern der treppen,
ein hoch auf alle sieglos-deppen,
die, noch voll schweiß, schon alt und ranzig,
und nur gerufen werden, bring mal bier!

vergessen längst im großen augenblick
umgeht sie der medaillen reigen
verpasst durch ihre schlechte position
sei siegerlandes qualifikation.
nichts da, was sie zum protzen zeigen,
vollbringen sie ein dunkel bleibend schweres stück

kanns sein, ich fühl nur mit mit denen,
weil selbst ich unten steh voll sehnen?