Es gab
einmal eine Zeit, da lebten friedlich weidender Schafe in einem
abgelegenen Tal zwischen Bergen, die an sonnigen Tagen den Himmel
kitzelten.
Eines Tages
kamen dort drei Bergsteiger an, und weil sie hungrig waren vom langen
Aufstieg und dem Abstieg in warmer Mittagssonne, nahmen sie einen
Eispickel und schlachteten eines der ahnungslos grasenden Tiere. Zum
ersten Mal seit Schafsgedenken wurde die wütend. Sie drängten sich
eng aneinander, hielten Rat, was zu tun sei, und schon nach kurzer
Zeit trampelten Schafsklauen auf die Bergsteiger zu, sodass diese in
heilloser Flucht über die Berge davonrannten.
Nicht viel
später aber kamen sie zurück, begleitet von drei Hunden. Die
rannten um die Herde herum und wirkten sehr bedrohlich. Wo immer sich
die Schafe zusammenfanden, um sich abzusprechen, wie sie sich wehren
könnten, übertönte das Hundegebell ihr schüchternes Blöken und
einzelne von ihnen wurden aus der Herde abgedrängt und von ihren
Schwestern und Brüdern nie wieder gesehen. Es hieß nun, Schafe
seien dafür da, dass Menschen etwas zum Essen hätten und um sich
vor der kalten Luft zu schützen.
Eines Tages
jedoch stritten sich zwei der Hunde um ein besonders schmackhaftes
Stück Schafsfleisch, das ihnen die Schäfer hingeworfen hatten. Das
nutzten die Schafe aus. Ein leises Blöken von Tier zu Tier machte
die Runde und dann rannten alle gemeinsam auf den dritten, den
einzigen Wache haltenden Hund zu, und ihr Trampeln war viel lauter,
als der hätte ihnen Angst einflößend kläffen können. So geschah
es, dass drei Schäfer und zwei Hunde über den Bergkamm flohen, und
die Herde friedlicher Schafe den dritten Hund in einer Mulde begrub.
Irgendwann
aber da kamen neue Schäfer, wieder begleitet von drei Hunden, die
sie sorgsam an Ketten gelegt hatten. „Ihr lieben Schäflein“,
riefen sie, „ihr werdet auf dieser Welt niemanden finden, der es
besser mit euch meint als wir. Merkt ihr es denn noch nicht: Jetzt,
wo die Sonne so fürchterlich brennt, schwitzt ihr gar jämmerlich.
Euer Fell juckt und ihr wäret sicher glücklicher, wenn wir euch
davon befreiten.“
Da vergaßen
die Schafe die Zeit, als sie frisch geschoren bitterlich gefroren,
und sie träumten davon, die Last ihrer Wolle abgenommen zu bekommen.
Die Schäfer fuhren fort: „Und den Schmerz in euren Eutern können
wir euch auch nehmen.“ Die Schafe sahen einander an. Ja, die Euter
waren längst daran gewöhnt, immer wieder gemolken zu werden. Sie
hatten mehr Milch, als die Lämmer soffen.
„Wir
möchten euch ja nur warnen“, fuhren die Schäfer mit weichen
Stimmen fort. „Das Schlimmste für euch wären gelbe Schafe in
eurer Herde. Schwarze kennt ihr und sondert sie aus. Aber gelbe?! Die
müsste man unbedingt scheren und melken und ihre Lämmer schlachten
und überhaupt bedürfen sie der Hunde, die ihnen im Auftrage kluger
Schäfer zeigen, wohin sie laufen dürfen und wohin nicht, damit sie
euch nicht verderben. Das seht ihr doch ein?“
Den armen
Schafen wurde ganz unheimlich zumute: Gelbe Schafe … Wie bedrohlich
das klang! Ja, gegen gelbe Schafe musste man etwas tun. Und so
freuten sie sich auf den Schutz durch kluge Schäfer.
„Entscheidet
selbst“, beschworen sie die Männer, „wollt ihr, dass wir uns mit
unseren Händen, unserer Schere und unseren Hunden um die gelben
Schafe kümmern?“
Die Schafe
aber, die noch nie zuvor von gelben Schafen gehört hatten, blökten
zustimmend. Schon tauchten neue Bergsteiger zwischen den Gipfeln auf.
Einer von ihnen wies sich aus als „Fachmann für schafspezifische
Erkrankungen“, man dürfe ihn Arzt nennen und er werde nun ein
Schaf nach dem anderen untersuchen. Jedes von ihm in Augenschein
genommene Schaf aber bekam ein Zertifikat umgehängt. Darauf stand:
„Gesund, aber farbenblind“.
Nun wurden
sie, wieder einzeln, zum zweiten neuen Bergsteiger geschickt, auf
dessen Visitenkarte stand: „Unabhängiger Spezialist im Institut
zur Begutachtung visuell erkennbarer Abnormitäten in regional
abgelegenen Schafspopulationen“, worunter sich keines der Schafe
etwas vorstellen konnte. Jedem jedoch erklärte der Spezialist mit
trauriger Stimme, aber was noch wichtiger war, er hängte es ihm als
Schild um, damit es alle anderen Schafe lesen konnten: „Dieses
Schaf ist gelb.“
Wie entsetzt
betrachteten einander nun die Schafe! Mal schauten sie sich aufs
Fell, mal auf jenes Dokument, das in verschnörkelter Schrift
überschrieben war mit „Gutachten“. Noch vermeinten sie zwar,
Ihresgleichen zu sehen, die weiß, wenn auch leicht verschmutzt
waren, aber wenn dort stand, sie seien gelb, dann waren sie es wohl.
Wie leicht
hatten es nun die Hunde, die sie und die anderen Schafe fürchtenden
Schafe dorthin zu treiben, wohin die Schäfer sie haben wollten. Als
die ersten Lämmer herangewachsen waren, bedurften sie des Gutachtens
nicht mehr: Sie hatten längst gelernt, dass sie gelb waren – und
was das bedeutete. Und sollte es eines nicht gleich glauben wollen,
so wurde es geschlachtet oder es kam aus dem großen schönen Haus
der Gutachters überzeugt zurück, gelb und farbenblind zu sein.
Und wenn sie
nicht gestorben sind, … dann schlachten die Schäfer noch immer zu
Ostern nur Lämmer mit gelbem Fell, und sie scheren Schafe, wenn auch
nur noch zum Vergnügen für Nichtschäfer, denn die Zeit, da sie
sich in die warme, aber grobe Wolle der gutmütigen Tiere hätten
hüllen wollen, ist längst schon Vergangenheit ....
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